Kundgebung: Wessen „Freund und Helfer“? – Das Problem heißt Rassismus!

Wessen „Freund und Helfer“? – Das Problem heißt Rassismus!
Kundgebung am 25.01. // 17 Uhr am 1. Polizeirevier Frankfurt (Zeil 33)

Solidarität mit Seda Başay-Yıldız und allen Betroffenen von rassistischer und rechter Polizeigewalt!

Fast wöchentlich weitet sich der Skandal um die rechtsextremen Umtriebe innerhalb der hessischen Polizei weiter aus. Mittlerweile erhielt die Frankfurter Rechtsanwältin und NSU-Nebenklagevertreterin Seda Başay-Yıldız einen zweiten Drohbrief, in dem ihr und ihrer Familie erneut mit dem Tod gedroht wurde. Wie bereits der erste Brief, war auch dieser unterzeichnet mit dem Kürzel „NSU 2.0“. Zuletzt wurden Ermittlungen gegen drei weitere hessische Polizist*innen aufgenommen, die aktuelle Zahl der Fälle steigt damit auf elf an. Die stetig neuen Vorfälle und Erkenntnisse erfüllen uns mit Angst und Wut. Letzten Endes unterstreichen diese jedoch nur, worauf von Rassismus betroffene Personen und Initiativen schon seit Jahren versuchen aufmerksam zu machen: die deutsche Polizei hat ein strukturelles Rassismusproblem. Denn bei all den Vorfällen der letzten Wochen und Monate handelt es sich nicht um Einzelfälle. Sie reihen sich ein in die rassistischen Ausschreitungen von Chemnitz, die erst durch die Laissez-faire-Mentalität der sächsischen Polizei ermöglicht wurden, sowie die anschließenden Verharmlosungen und Verschwörungstheorien des mittlerweile entlassenen Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen oder die Enttarnung eines rechtsextremen Netzwerkes in der Bundeswehr mit weitreichenden Verbindungen und Kontakten zu staatlichen Strukturen. Die Liste ließe sich noch lange fortführen.

All diese Fälle verdeutlichen die strukturelle Kontinuität des NSU-Komplexes innerhalb staatlicher Institutionen und den mangelnden Aufklärungswillen der deutschen Behörden. Solange sich rechte Akteur*innen bei der Polizei und anderen Institutionen offensichtlich pudelwohl fühlen, ist die Aufarbeitung des NSU-Komplexes gescheitert!
In den 11 Jahren der Mord- und Anschlagsserie durch den NSU wurden Betroffene und Angehörige der Mordopfer durch die Sicherheitsbehörden kriminalisiert, durch die Medien diffamiert und von der weißen bundesdeutschen Öffentlichkeit ignoriert, statt den Betroffenen zuzuhören und ihr migrantisch situiertes Wissen um die rassistischen Motive zu würdigen. Diese Zustände haben noch immer Kontinuität. Es passiert schon wieder.
Wir müssen mit Entsetzen feststellen, dass die gleichen Mechanismen wieder greifen. Wo ist der öffentliche Aufschrei? Wo sind die Entlassungsforderungen der politisch Verantwortlichen? Wo ist die Skandalisierung des Verhaltens von Innenminister Beuth und des Ministerpräsidenten Volker Bouffiers?

Wenn der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft dann auch noch ernsthaft versucht, diese rechten Umtriebe seiner hessischen Kolleg*innen mit der Überlastung und dem hohen Arbeitsstress des Polizeialltags zu relativieren, können wir nur mit dem Kopf schütteln. Wie wir es bereits im Nachgang des rassistisch motivierten Anschlags auf vermeintliche Migrant*innen in Bottrop erlebt haben, wird hier der Versuch unternommen, rassistische und rechte Motive zu einer persönlichen Betroffenheit umzudeuten und damit die Täter*innen zu den eigentlichen Opfern zu stilisieren. Das lassen wir uns nicht gefallen und bleiben dabei: das Problem heißt (institutioneller) Rassismus!

Deshalb lasst uns diesen Tag gemeinsam nutzen, um auf die Stimmen derer aufmerksam zu machen, für die die Polizei kein „Freund und Helfer“ ist, sondern eine alltägliche Bedrohung. Zeigen wir unsere Solidarität mit Seda Başay-Yıldız und allen anderen Betroffenen von rassistischer und rechter Polizeigewalt.

Als das Bündnis Kein Schlusstrich Hessen fordern wir die umfassende Aufklärung rechtsextremer Netzwerke innerhalb der hessischen Polizei und anderen staatlichen Behörden. Darin sehen wir auch die Notwendigkeit eines neuen parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Aufarbeitung der NSU-Morde und ihrer ideologischen Kontinuität. Weiter fordern wir eine unabhängige Kontrollinstanz zur Dokumentation und Untersuchung von Polizeigewalt. Besonders in Frankfurt sind Schwarze und migrantisierte Menschen in ihrem Alltag immer wieder mit Schikanierungen bis hin zu gewalttätigen Übergriffen von Seiten der Polizei konfrontiert. Zuletzt fordern wir deshalb euch auf, eure Solidarität auch im Alltag zu zeigen. Wenn ihr Zeug*in von rassistischer Polizeipraxis werdet: schreitet ein, sprecht mit den Betroffenen und zeigt euch solidarisch! Unterstützt solidarische und antirassistische Projekte und Initiativen, fragt kritisch nach, schaut nicht weg!

Kein Schlussstrich.

Wessen „Freund und Helfer“? – Das Problem heißt Rassismus!
Kundgebung am 25.01. // 17 Uhr am 1. Polizeirevier Frankfurt (Zeil 33)

Rede zur Kundgebung gegen den NSU 2.0 und institutionellen Rassismus, 19.01.19 in Frankfurt

Wir, vom Bündnis „Kein Schlussstrich Hessen“, erklären uns solidarisch mit der Anwältin Seda Başay-Yıldız und ihrer Familie. Wir sind solidarisch mit allen Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Wir sind solidarisch mit allen von Polizeigewalt Betroffenen.

Unbestritten ist, dass in der Polizei eine Gruppe von Rechtsextremen unter der Selbstbezeichnung NSU 2.0 die Anwältin Seda Başay-Yıldız und ihre Familie mit dem Tod bedroht haben. Zweimal! Beteiligt daran waren Polizist*innen hier aus dem 1. Polizeirevier Frankfurt.
Der hessische Innenminister Beuth wusste bereits im August von den Morddrohungen und unterrichtete das Parlament nicht – so wie auch Bouffier das Parlament nach dem Mord an Halit Yozgat nicht über die Anwesenheit des Verfassungsschützers Andreas Temme unterrichtete! Schweigen über rechtsextreme Sicherheitsbehörden gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit scheint bei der CDU Hessen eine Tradition zu sein!
Obwohl der NSU 2.0 dem Innenminister Beuth seit August bekannt ist, wurde das Netzwerk in der Polizei noch immer nicht vollumfänglich aufgedeckt! Erst vor kurzem erhielt Familie Başay-Yıldız statt Aufklärung eine zweite Drohung! Und anstatt sich Seda Başay-Yıldız und ihrer Familie angemessen solidarisch zu zeigen, anstatt den Schutz aller Bürger*innen zu garantieren, wurde ihr nach den Vorfällen von der Polizei ernsthaft geraten sich selber zu bewaffnen! Das ist ein Skandal! Ist es neuerdings die Aufgabe der Polizei Anwält*innen zu bedrohen statt sie zu schützen? Oder gilt das etwa nur für migrantisierte Anwält*innen?

Diese Drohungen sind kein Einzelfall! Wie sehr die polizeiliche Arbeit von Rassismus geprägt ist, zeigt auch das Racial Profiling der letzten Wochen an der Frankfurter Hauptwache. Mehrere Videoaufnahmen und Augenzeug*innenberichte der rassistischen Kontrollen zeigen deutlich: Rechtsextreme bei der Polizei sind nur die Spitze des Eisberges. Schwarze und migrantisierte Menschen sind in ihrem Alltag immer wieder mit Schikanierungen bis hin zu gewalttätigen Übergriffen von Seiten der Polizei konfrontiert. Wir fordern eine unabhängige Beschwerdestelle für Betroffene, wie sie in anderen Ländern längst üblich ist!

Dass auch nach Bekanntwerden des Netzwerkes eine erneute Drohung unter dem Kürzel NSU 2.0 folgte, zeigt deutlich die tiefen rechten Strukturen in der Polizei.
Für das Bündnis „Kein Schlussstrich Hessen“ machen diese Ereignisse erneut deutlich, dass die Strukturen unverändert sind, welche den NSU-Komplex ermöglicht haben.
Wie tief muss der Rassismus bei der Polizei sitzen, wenn Rechtsextreme auf der Wache nicht weiter auffallen? Die rassistischen, antisemitischen und behindertenfeindlichen Positionen der Beamt*innen wurden entweder von einem großen Teil der Kolleg*innen einfach ignoriert oder sogar geteilt.
Wenn Polizist*innen mit dem Kürzel NSU 2.0 eine im NSU-Prozess engagierte Nebenklage-Anwältin bedrohen, zeigt sich das Weiterwirken des NSU-Komplex: der Rassismus ist in staatlichen Strukturen tief verankert.
Dass die Polizei-Gewerkschaft dann ernsthaft behauptet Rassismus resultiere aus der Belastung der Kolleg*innen im Arbeitsalltag, ist eine gefährliche Verharmlosung. Krankenpfleger*innen haben auch eine große Arbeitsbelastung – doch sind uns zumindest keine rechten Strukturen unter ihnen bekannt!
Wir müssen es benennen wie es ist: Es gibt ein strukturell rassistisches Problem bei der Polizei! In Konsequenz sind große Teile der Bevölkerung vor rechter Gewalt nicht geschützt.

Solange sich rechte Akteur*innen offensichtlich bei der Polizei pudelwohl fühlen, ist die Aufarbeitung des NSU-Komplexes gescheitert! Wir fordern eine umfassende Aufklärung des NSU-Komplexes und der NSU 2.0! Wir fordern Solidarität mit Seda Başay-Yıldız und allen Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt!
Kein Schlussstrich!

NSU hakkında Türkçe bilgiler

Mağduların perspektifi – NSU

Mağduların perspektifi – ırkçılık

NSU hakkında bilgiler

NSU davası

Wissen über den NSU

Über die Verstorbenen

  • Sie sind nicht vergessen
  • John, B. (2014) Unsere Wunden kann die Zeit nicht heilen. Freiburg im Breisgau: Verlag Herder.

Was ist der NSU Komplex?

Filme & Videos aus einer Betroffenenperspektive

Texte aus einer Betroffenenperspektive

Bücher aus einer Betroffenenperspektive

  • Şimşek, S. and Schwarz, P. (2013) Schmerzliche Heimat. Deutschland und der Mord an meinem Vater. Berlin: Rowohlt.
  • John, B. (2014) Unsere Wunden kann die Zeit nicht heilen. Freiburg im Breisgau: Verlag Herder.

Hintergrundinformationen und rassistische Kontinuitäten

Informationen zum NSU-Prozess vor dem OLG München

Zum Urteil im Prozess vor dem OLG München

Kein Schlussstrich – Warum es nach dem Prozess weitergehen muss

 

Einführungen zu (Anti)Rassismus

Zum Einstieg & besseren Verständnis von Rassismus

Selbstreflektion und Handlungsoptionen für Allies

Für Rassismus-Betroffene

Betroffenenperspektiven

Bücher zu (Anti)Rassismus

Bücher zum Einstieg

  • Ogette, Tupoka (2017) exit RACISM. rassismuskritisch denken lernen. Münster: Unrast Verlag.
  • Amjahid, Mohamed (2017) unter weißen. Was es heißt, privilegiert zu sein. München: Hanser Berlin.
  • Ergün-Hamaz, Mutlu (2016) Kara Günlük. Die geheimen Tagebücher des Sesperado. Münster: Unrast Verlag.

Bücher zum Vertiefen

  • Kilomba, Grada (2016) Plantation Memories. Episodes of Everyday Racism. Münster: Unrast-Verlag.
  • Sow, Noah (2009) Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus. München: Wilhelm Goldmann Verlag.
  • Eggers, M. M. et al. (2017) Mythen. Subjekte. Masken. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Münster: Unrast-Verlag.
  • Ha, K. N. et al. (2017) re/visionen. Postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland. Münster: unrast-Verlag.
  • el-Tayeb, Fatima (2016) Undeutsch. Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft. Bielefeld: transcript Verlag.

Bücher zum NSU-Komplex

Betroffenenperspektiven:

  • Şimşek, S. and Schwarz, P. (2013) Schmerzliche Heimat. Deutschland und der Mord an meinem Vater. Berlin: Rowohlt.
  • John, B. (2014) Unsere Wunden kann die Zeit nicht heilen. Freiburg im Breisgau: Verlag Herder.
  • Bozay, K. et al. (eds.) (2016) Die haben gedacht wir waren das. Köln: Papy-Rossa-Verlag.

Wissenschaftliche Analysen:

  • Karakayalı, J. et al. (eds.) Den NSU Komplex analysieren. Aktuelle Perspektiven aus der Wissenschaft. Bielefeld: transcript Verlag.
  • Dostluk Sinemasi (ed.) (2014) Von Mauerfall bis Nagelbombe. Der NSU-Anschlag auf die Kölner Keupstraße im Kontext der Progrome und Anschläge der neunziger Jahre. Berlin: Amadeu Antonio Stiftung.

Texte der Nebenklage:

  • Behrens, Antonia von der (ed.) (2018) Kein Schlusswort. Hamburg: VSA Verlag.
  • Daimagüler, M. (2017) Empörung reicht nicht. Köln: Bastei Lübbe.

Presseerklärung zum NSU 2.0

Unsere Erklärung zum NSU 2.0 und den rechtsextremen Strukturen/Gruppen in der Frankfurter Polizei:

Vor wenigen Tagen ist der Öffentlichkeit bekannt gegeben worden, dass in der Polizei in Frankfurt eine Gruppe von Rechtsextremen unter der Selbstbezeichnung als NSU 2.0 die Anwältin Seda Başay-Yıldız und ihre Familie mit dem Tod bedroht haben. Am gestrigen Mittwoch wurde klar, dass der hessische Innenminister Beuth bereits im August von den Morddrohungen wusste und das Parlament nicht unterrichtete.

Für das Bündnis „Kein Schlussstrich Hessen“ machen die aktuellen Ereignisse erneut deutlich, dass die Strukturen unverändert sind, welche den NSU-Komplex möglich gemacht haben.
„Wie tief muss der Rassismus bei der Polizei sitzen, wenn Rechtsextreme auf der Wache nicht weiter auffallen? Die rassistischen, antisemitischen und behindertenfeindliche Positionen der Beamt*innen wurden entweder von einem großen Teil der Kolleg*innen einfach ignoriert oder sogar geteilt “, so Meltem von Bündnis „Kein Schlussstrich Hessen“.

Wie sehr die polizeiliche Arbeit von Rassismus geprägt ist, zeigt auch das Racial Profiling der letzten Wochen an der Frankfurter Hauptwache. Mehrere Videoaufnahmen und Augenzeug*innenberichte der rassistischen Kontrollen zeigen deutlich: „Rechtsextreme bei der Polizei sind nur die Spitze des Eisberges. Schwarze und migrantische Menschen sind in ihrem Alltag immer wieder mit Schikanierungen bis hin zu gewalttätigen Übergriffen von Seiten der Polizei konfrontiert. Es braucht endlich eine unabhängige Beschwerdestelle für Betroffene, wie sie in anderen Ländern längst üblich ist“ so Meltem.

Dass die rechtsextremen Aktivitäten der Frankfurter Polizist*innen keine Einzelfälle sind, sondern dadurch ein strukturelles Problem mit rechtem Gedankengut sichtbar wird, zeigt die Vielzahl weiterer Fälle, die in diesen Tagen publik werden. Hilde von Kein Schlussstrich Hessen stellt fest: „Wenn sich rechte Akteur*innen offensichtlich bei der Polizei pudelwohl fühlen, ist die Aufarbeitung des NSU-Komplexes krachend gescheitert.“

Dass auch die Politik keine Lehren gezogen hat, bewies Innenminister Beuth in einer Sondersitzung des hessischen Landtages, als er zugab, dass er seit August von den Morddrohungen gegenüber Seda Başay-Yıldız unter dem Titel NSU 2.0 wusste, das Parlament darüber allerdings nicht in Kenntnis gesetzt hatte. „Es werden Parallelen zum Verhalten Bouffiers im Jahr 2006 deutlich, als dieser nach dem Mord an Halit Yozgat das Parlament nicht darüber informierte, dass der Verfassungsschützer Andreas Temme unter Mordverdacht stand“ so Hilde.

Für Betroffene von rechter und rassistischer Gewalt bedeutet das Auffliegen eines rechtsextremen Netzwerkes in der Polizei weitere Verunsicherung. Zum Abschluss des Jahres 2018 reiht sich der Polizeiskandal ein in die rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz, die anschließenden Verharmlosungen und Verschwörungstheorien des mittlerweile entlassenen Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen oder der weiter unaufgeklärte Tod von Amad A., welcher an den Folgen eines Brandes in seiner Zelle starb, in der er aus ungeklärten Gründen fälschlicherweise festgehalten wurde.

„Auf Staat und Polizei können wir uns nicht verlassen. Es braucht viel mehr zivilgesellschaftliches Engagement, welcher den Rassismus in den Behörden in den Blick nimmt und tatsächlich angeht“ so Meltem.